Es wird bunt

Wie schön ist es, wenn ich auf erbsengrünen Schuhen kreuz und quer durch einen buntkarierten Tag laufe und Dir in Deine himmelblauen Augen schaue.

Was für ein großes Glück, denke ich, dass ich die Welt bunt sehen kann. Die kleinen Knopfaugen einer Maus sehen eine Welt voller Grau, und das nicht, wegen ihres mausgrauen Fellkleids, sondern, weil Mäuseaugen nur sehr eingeschränkt Farben wahrnehmen können. Auch Fledermäuse, Eulen oder Krokodile hätten vermutlich wenig Freude an einem Regenbogen oder an Konfettibunt. Ihr Sehen beschränkt sich auf Kontraste und das Spiel aus Hell und Dunkel, lese ich – und bin in diesem Moment umso dankbarer für das kleine Wiesensträußchen, das Du mir gepflückt hast. Kornblumenblau und Gänseblümchenweiß leuchtet es vor mir auf dem Tisch, in der bonbonfarbenen Vase, die Du selbst getöpfert hast.

Nicht alle Tage sind kunterbunt. Manchmal sind da auch Augenblicke, in denen das Drumherum pastellig verschleiert scheint. Kennst Du das? Diese Momente, in denen ein Frühlingsnebel am frühen Morgen das Salbei- und Mintgrün der Wiesen mischt, das nahtlos in Lavendel und Flieder übergeht, bis Himmel, Wolken und Licht blassrosa verschwimmen. Diese sanften Farben sind meist sehr leise. Wenn wir in unseren Musikstunden still sind, hören wir sie manchmal flüstern: „Ich bin da, aber nur, wenn Du mich wirklich sehen willst!“

Farben spielen eine besondere Rolle in meinem Unterricht. Manchmal mischen sie sich einfach ungefragt in unsere Musikstunden ein – treten ohne anzuklopfen zur Tür herein, werfen sich in Pose und rufen: „Hab ich da was von Frühlingsmusik gehört? Ich bin das Grasgrün!“

Farben wollen oft die Bestimmer sein!

Sie machen sich breit, stellen sich in den Mittelpunkt und sagen: „Heute wird’s fröhlich!“, „Heute wird’s wild!“, „Heute wird’s ruhig!“

Und manchmal überrumpeln sie uns auch, fallen unerwartet aus der Tücherkiste und liegen dann in aller Pracht pompös von Radieschenrot bis Veilchenviolett verteilt auf dem Boden.

Andere Farben verstecken sich lieber. Sie leben im Schatten, im Nebel – oder eben ganz friedlich in unserer Kiste und warten auf ihren Moment.

Und dann gibt es die Farben, die abfärben: An manchen Tagen sitzt ein regenschweres Wolkengrau neben mir auf der Parkbank, den Blick in eine große Pfütze versenkt – bis plötzlich ein Kind in sonnengelben Gummistiefeln daherspaziert und mit großer Lebensfreude und Selbstverständlichkeit einen unbändigen Hüpfer macht: die Pfütze platzt vor Freude in tausend schillernde Tropfen und fliegt in allen Richtungen davon.

Ich schaue dem wolkengrauen Tag neben mir in die Augen und sage: Was für ein unerwartet schillernder Pfützenmoment, inmitten eines regenschweren Tages!“

Und genau in diesem Farbengefühl taucht plötzlich ein quadratisches Büchlein aus dem Gerstenberg Verlag auf: „Zitronengelb und Feuerrot“ von Sabine Lohf. Quietschgelb lacht es mich an – und ich blicke in die Zitronenaugen einer witzigen Eule mit kunterbuntem Gefieder.

Zitronen sind sauer, und sauer macht lustig – und bunt ist mein Motto!  Dieses Buch ist ein Schatz:

Auf 104 Seiten experimentiert Sabine Lohf farbgewaltig und stimmungsintensiv mit Fotografie, Malerei, gebastelten Kunstwerken und Fundstücken aus der Natur. Obst, Gemüse, Blüten und Alltagsmaterialien verwandeln sich zu kunstvollen Farb-Kompositionen – jede Seite ist ein visuelles Erlebnis voller Fantasie, Kreativität, Witz und Lebensfreude.

 

Zu jeder Farbe gehört eine Doppelseite: Links thront in großer Schrift der Farbname auf einfarbigem Hintergrund, rechts überrascht eine Collage – verspielt, fantasievoll, erzählend. Dabei geht es nicht nur um die Farbe selbst, sondern um das, was sie im Herzen auslöst:
Kirschrot erinnert an den Geschmack der süßen Früchte, an Sommer und rote Lippen. Auf dem passenden Bild hängt die Kirsche im Schnabel einer kohlrabenschwarzen Amsel.
Das Sonnenblumengelb ist mehr als nur Gelb – es trägt die Kraft der Sonne in sich und den Stolz der Sonnenblume, die ihr leuchtend den Kopf entgegenstreckt.

Sabine Lohf nutzt Poesie und Fantasie und lässt die Farben erzählen, ohne dass es weiterer Worte bedarf. „Zitronengelb und Feuerrot“ ist ein Buch zum Sehen, Staunen und Erleben. Es ist ein Fest für die Sinne, ein Farbenspiel für Kinder und Erwachsene, das Erinnerungen weckt und eigene Ideen zum Leuchten bringt.

Was mir besonders gefällt, ist der veränderte Blickwinkel, den Sabine Lohf in ihren Illustrationen einnimmt:
Sie zeigt uns, dass ein Tannenzweig – aus seinem üblichen Kontext genommen – auch ein wunderbar pieksiges Igelkleid sein kann und zartrosa Kirschblüten zu einem zauberhaften Prinzessinnengewand drapiert werden können.
Sie erinnert uns daran, dass wir Farben nicht nur sehen, sondern auch träumen dürfen. Mit einem etwas anderen Blick können wir die Welt gemeinsam ganz neu entdecken. „Zitronengelb und Feuerrot“ ist eine liebevolle und wärmende Einladung dazu.

Dem Gerstenberg Verlag danke ich für dieses wunderschöne Rezensionsexemplar, das in meinem moosgrünen Bücherschrank seinen festen Platz eingenommen hat.

 

Bibliografie:

Zitronengelb und Feuerrot“, Autorin: Sabine Lohf, Gerstenberg Verlag, 104 Seiten, gebundene Ausgabe, Erscheinungsdatum: 01.01.2024, 1. Auflage, Maße: 19,3 cm x 19,3 cm x 1,90 cm, Sprache: deutsch, Altersempfehlung: ab 3 Jahren, 
ISBN: 978-3-8369-6271-1
Preis: ca. 16,00  €